Zwischen 470 und 475 n. Chr. hielt sich der heilige Severin im Land Salzburg auf, wo sein Besuch in zwei Salzburger Orten in der Vita Sancti Severini, seiner Lebensbeschreibung, festgehalten wurde:
Als noch die oberen Städte Ufer-Noricums bestanden und fast kein einziges Kastell von den Überfällen der Barbaren verschont blieb, stand der heilige Severin in derartig hohem Ansehen, dass ihn die einzelnen Kastelle um die Wette einluden, als könne er ihnen die Mauern ersetzen; denn sie glaubten, es könne ihnen in seiner Gegenwart kein Unglück widerfahren...
... So war der heilige Mann infolge der ergebenen Bitten der Bevölkerung auch in ein Kastell namens Cucullis gekommen, wo ein großes Wunder geschah, das ich nicht verschweigen kann; kennen wir es doch aus dem erstaunlichen Bericht des Marcianus, der später unser Presbyter wurde und ein Einwohner dieses Ortes war. Ein Teil des Volkes hielt an einem bestimmten Orte am heidnischen Opferdienst fest. Als der Mann Gottes von diesem Frevel erfuhr, hielt er zahlreiche Ansprachen an das Volk, bestimmte die Presbyter des Ortes ein dreitägiges Fasten anzusetzen und befahl, dass aus allen Häusern Kerzen mitzubringen seien, die jeder eigenhändig an den Kirchenwänden befestigte. Nachdem der übliche Psalmengesang beendet war, forderte der Mann Gottes die Presbyter und Diakone auf mit ganzer Hingabe mit ihm zusammen den gemeinsamen Herrn zu bitten, er möge zur Entlarvung der Gottlosen das Licht seiner Erkenntnis leuchten lassen. Als er nun so unter vielen Tränen mit ihnen lange auf den Knien gebetet hatte, da wurde plötzlich der größte Teil der Kerzen, welche die Gläubigen herbeigebracht hatten, durch göttliche Fügung entzündet; unangezündet blieb hingegen der Rest der Kerzen, nämlich die jener Leute, die den erwähnten heidnischen Opfern verfallen waren, dies aber in dem Wunsche, unbekannt zu bleiben, geleugnet hatten. Sowie sich also die Leute, welche diese Kerzen aufgestellt hatten, durch das Gottesurteil entlarvt sahen, schrieen sie plötzlich auf und verrieten die Geheimnisse ihres Herzens genugsam durch ihre Rechtfertigungsversuche und gestanden, durch das Zeugnis ihrer eigenen Kerzen zu einem öffentlichen Geständnis gebracht, ihren Götzendienst. O gütige Macht des Schöpfers, der die Kerzen und Herzen entflammt!
... Ein andermal wieder hatte sich im Gebiete desselben Kastells ein Schwarm von Heuschrecken, Vernichtern der Feldfrucht, niedergelassen und verwüstete alles mit den verderblichenb Beißwerkzeugen. In ihrer Bestürzung über dieses Unglück wandten sich alsbald die Presbyter und alle übrigen Ortsbewohner mit dringenden Bitten an den heiligen Severin und sprachen: „Wir bitten zur Befreiung von dieser schrecklichen Plage um die erprobte Hilfe deiner Gebete, deren gewaltigen Einfluss beim Herrn wir unlängst anlässlich des großen Wunders kennen gelernt haben, als die Kerzen durch Himmelsmacht entzündet wurden.“ ... Unverzüglich versammelte sich alles in der Kirche, und ein jeder sang der Reihe nach wie gewöhnlich seinen Psalm. Jegliches Alter und Geschlecht, auch wer es nicht in Worten tun konnte, betete unter Tränen zu Gott, unaufhörlich wurden Almosen gegeben und nach den Vorschriften des Gottesdieners gute Werke vollbracht, wie es die augenblickliche Notlage erforderte. Während sich nun alle derartig betätigten, ließ ein ganz armer Mann das angefangene Gotteswerk im Stich und ging zum Acker hinaus um nach seiner eigenen Saat zu sehen, die ganz klein zwischen den übrigen Saatfeldern lag. Und voll Angst verscheuchte er den ganzen Tag mit größtem Eifer die darüber schwebende Wolke von Heuschrecken, und dann ging er in die Kirche zur Kommunion. Seine bescheidene Saat aber, die von vielen Fruchtfeldern der Nachbarn umgeben war, hat der Heuschreckenschwarm kahl gefressen. (Quelle: Univ. DDr. Franz Ortner, Das Erzbistum Salzburg in seiner Geschichte, Band 1, Editions du Signe, Straßburg 1994)